Lesung: Markus 8,1-9
Die Speisung der Viertausend
1 Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: 2 Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. 3 Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. 4 Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? 5 Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben. 6 Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten, und sie teilten sie unter das Volk aus. 7 Sie hatten auch einige Fische; und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen. 8 Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. 9 Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.
Predigt zu 1. Timotheus 4, 4-5
„Fisch? Es gibt Fisch? Den mag ich nicht.“ „Brot? Nur Brot? Was ist das für ein Service hier?“ Viertausend sind satt geworden. Ob da auch manche darunter waren, die keinen Fisch mochten? Der zartfühlende, höfliche Markus sagt es uns nicht. Aber so ungewöhnlich wäre es nicht.
Als Kind und Jugendlicher mochte ich keine Tomaten. Doch galt bei uns zuhause die Regel, dass alles probiert wird. Es waren keine Unmengen, vor denen wir dann stundenlang hätten sitzen müssen. Aber probieren musste sein. Drei Scheiben Tomaten – so war die Regel. Nach einer Pause mit genügend Abstand zu den Tomaten meiner Kindheit habe ich sie schätzen gelernt – mit Mozzarella und Basilikum, mit Pfeffer und Salz, im Salat, auf der Pizza, im Omelett, getrocknet, in Öl eingelegt und was noch alles. Lecker.
Gut, dass es Tomaten gibt. Und so viel anderes. Das Erntedankfest zeigt uns einen kleinen Ausschnitt der guten Gaben, die Gott uns schenkt. Und auch wenn nicht jedem alles schmecken mag – wir sind dankbar für Äpfel und Nüsse, für Salat und Kohl, für Getreide und Karotten, für Kürbisse und Kartoffeln. Einmal im Jahr werden wir besonders daran erinnert, dass Gott uns reichlich versorgt. Und diese Erinnerung ist bunt. Erntedanktische sind etwas herrlich Schönes.
In einer der Gemeinden, in denen ich vor Wittenberg gearbeitet habe, schrieben diejenigen, die die Kirche geschmückt haben, immer ein großes „Danke“ mit Kartoffeln vor alle anderen Erntegaben. In einer anderen Kirche rahmten ganze Maisstangen die Ecken zum Chorraum. Und wieder in einer anderen lagen auf dem breiten Rand des Taufsteines Äpfel, Birnen und anderes Obst, immer schön abwechselnd. Manche mögen streiten, ob man den Taufstein als Erntedanktisch nutzen darf. Aber es sah schön aus.
Danke Gott für die Vielfalt. Und danke für alle, die daran gearbeitet haben. Danke den Menschen im Supermarkt, die die Regale immer wieder füllen. Danke denen, die auf Wochenmärkten die herrlichen Früchte und Brot, Käse und Wurst verkaufen. Danke den LKW-Fahrern, die noch in der Nacht Sachen anliefern, damit wir sie haben.
Danke den Bauern, die Knoblauch und Getreide, Kartoffeln, Rüben, Spargel, Obst anbauen und mit viel Mühe und Sorge über die Früchte wachen.
Danke auch denen, die das alles verarbeiten, die Brot backen und Konserven herstellen, die Nudeln zubereiten und leckeren Pudding. Danke, Gott!
Und – wenn ich schon beim Danken bin: Danke all denjenigen, die für diesen Gottesdienst Gaben in die Kirche gebracht haben und denen, die das so schön aufgebaut haben, damit wir es sehen können.
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“
Diese geschliffenen Worte sind nicht aus meiner Feder geflossen. Paulus hat es an seinen Mitarbeiter und Freund Timotheus geschrieben, nachzulesen: 1. Timotheus 4, 4-5.
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.“ Auch die Tomaten. Auch der Fisch. Aber auch die Spinnen und Stechmücken?
Ich überlege, wie das wohl im Paradies gewesen ist. Adam und Eva laufen durch den schönen Garten und kommen an einem Geflecht aus Spinnenfäden vorbei. Und anders als bei Indiana Jones, wo in der Regel die Protagonistinnen dann anfangen zu kreischen, freut sich Eva und lobt die Webkunst der achtbeinigen Künstlerinnen. Und Adam bewundert die technische Meisterleistung, die Reißfestigkeit des Gewebes und den Herstellungsprozess. Danke, Gott, für die Meisterklasse der Spinnen.
Zwischen Paulus und Timotheus gab es aber noch ein anderes Thema. Manche in den Gemeinden waren auf die Idee gekommen, dass für Christen nicht alles erlaubt ist. „Ihr sollt dieses nicht essen und jenes nicht trinken. Ihr müsst mehr fasten. Trefft euch nicht mit bestimmten Menschen. Heiratet nicht“ So sagten sie (1. Timotheus 4,1-3). Und Paulus ist entsetzt. Gott hat alles geschaffen. Und was er gemacht hat, ist gut. „Nichts davon verachtet. Nichts davon macht klein!“
Er kannte seine Bibel. Und er hat auch die ersten Seiten im Kopf, auf denen von der Schöpfung berichtet wird. Fünfmal heißt es dort: „Und Gott sah, dass es gut war.“ Und am Schluss, als auch die Menschen da sind, steht dort: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (1. Mose 1,31) Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.“
Was mich nachdenklich macht: Wie entdecke ich denn, dass gut ist, was Gott gemacht hat? Einen Weg zeigt Paulus auf: Ich lerne es, indem ich Gott danke sage. Wenn ich für etwas dankbar bin, verändert es meine Sicht darauf. Ich nehme es anders wahr. Um aber für etwas zu danken, muss ich es auch erst einmal bemerken, muss es wahrnehmen – sehen oder hören, riechen oder schmecken oder spüren.
Was wäre das für ein komisches Verhalten, wenn mir jemand eine Tafel Schokolade gibt – ich mag Schokolade – und ich schaue ihn nicht einmal an. Ich daddele auf meinem Mobiltelefon herum, habe mehr Interesse an lustigen Kaffeesprüchen und Katzenvideos, als an dem, der mir etwas Gutes tut.
Aber schaue ich auf, lege ich das Smartphone zur Seite, blicke meinem Gegenüber in die Augen und nehme die Schokolade bewusst entgegen, passiert etwas geradezu Heiliges.
Ich habe einen Moment überlegt, ob ich das Wort hier nehme, aber ja: das ist etwas Heiliges. Denn heilig bedeutet: Ich nehme etwas heraus aus dem allgemeinen Gewühle der Welt und gebe ihm einen besonderen Raum. Die Schokolade und der Mensch, der sie mir gibt: Beide hebe ich heraus aus dem Alltag, der mich umgibt. Für ein paar Sekunden gibt es nur uns zwei und die Schokolade. Danach geht der Alltag weiter. Aber anders. Durch einen Moment Aufmerksamkeit ist er verändert. Durch ein Wort: „Danke.“
Hat dieses kleine Wort solch eine Kraft? Ist darum das Erntedankfest so wichtig? Was geschieht da? Beim Erntedankfest bringen Menschen Gaben in die Kirche. Sie nehmen sie heraus aus ihrem gewohnten Platz. Sonst stehen die Äpfel vielleicht in der Küche. Der Reist steht im Küchenschrank, die Kartoffeln liegen vielleicht im Keller. Aber heute stehen die Gaben in der Kirche. Hier ist kein Herd, um zu kochen. Hier gibt es keine Kaffeemaschine – darüber sollte man allerdings mal nachdenken (schmunzeln erlaubt). Es ist nicht der alltägliche Raum. Es ist ein besonderer Raum. Und auch wenn wir Evangelische uns damit ein bisschen schwerer tun: Die Kirche ist doch ein heiliger Raum und der Gottesdienst ist eine heilige Zeit.
Ich glaube, dass wir so etwas in jedem Moment machen, in dem wir Gott für etwas danken. Da baut das Wort „Danke“ einen heiligen Raum auf und für einen Moment in der Zeit bricht Gottes Heiligkeit durch. Denn wir stellen ihm diesen Moment, diese Gabe, diesen Raum zur Verfügung. „Danke, Gott“, sage ich und kann ihn auf einmal sehen. Nicht als Person, nicht als Aura oder Lichtglanz oder anderes. Aber ich sehe hinter einer guten Gabe den, der sie geschaffen hat. Ich sage „Danke, Gott“, und werde mir darüber klar: Der ist jetzt hier. Der steht mir gegenüber mit dieser Gabe und ich sehe ihn – durch die Gabe hindurch, als Urheber der Gabe.
Solche Gaben können viel mehr sein als Brot und Wein, Reis und Obst und Fisch. Das Licht der Sonne und der Regen sind Gottes Geschenk, der Wind und die Wärme sind von ihm. Der Mensch, der mir zulacht und der, der mich vor einer Gefahr warnt, sind Gottes Geschenk. Die Musik, eine der größten, wunderbarsten Gaben überhaupt. Wenn ich danke sage – schon einem Menschen und ganz gewiss, wenn ich Gott danke sage, dann öffnet sich der Blick auf Gottes Herrlichkeit.
Mehr noch. Nicht nur ich sehe etwas von Gottes Güte. Das strahlt doch aus. Ein dankbarer Mensch verbreitet um sich herum Licht. Ein dankbarer Mensch nimmt andere mit hinein in die Herrlichkeit und Heiligkeit Gottes.
Ist das nicht zu fett aufgetragen? Ich glaube, dass wir der Dankbarkeit viel mehr zutrauen können.
Einer der Psalmbeter, Asaf, sagt über Gottes Einstellung zum Danken: „Wer Dank opfert, der preiset mich, und da ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes.« (Psalm 50,23) Wenn wir Danke sagen, zeigt Gott uns sein Heil. Wenn ich Gott sehen will, danke ich ihm für alle Gaben. Und mir gehen die Augen für alles Gute auf, je mehr ich das übe.
Damit sind wir wieder ganz beim Anfang – dem Wochenspruch: „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.“ (Ps 145, 15)
Augen auf – schaut auf das, was Gott uns gegeben hat. Augen auf – hofft auf das, was Gott versprochen hat.
Augen auf – Gott beschenkt uns. Augen auf für Gottes Liebe.
Augen auf auch für die, die um mich, die um sie her sind: Menschen, die Sie kennen oder denen Sie gelegentlich begegnen. Und Menschen, die Sie zuvor noch nie gesehen haben.
Und ich ergänze: Dankt Gott. Für die Natur. Und ihr seht sie in neuem Licht – im Licht der Schöpfung, als alles gut war. Und ihr nehmt sie in Schutz, weil sie Gottes gute Schöpfung ist.
Dankt Gott. Für die Menschen. Eure Familie und Freunde. Für die Arbeitskollegen. Für die Menschen, die neu in unserer Stadt sind. Und ihr seht sie in neuem Licht – im Licht der Schöpfung, als alles sehr gut war. Und ihr nehmt sie in Schutz, weil es Gottes Menschen sind, jeder einzelne würdig und kostbar.
Dank Gott. Und ihr handelt als diejenigen, die Gott selbst heilig gesprochen hat. Dankt Gott und ihr verändert die Welt, weil der Dank euch verändert.
Dankt Gott. Das ist euer Vorrecht und eure Stärke. Dankt Gott – und Gottes Herrlichkeit, seine Liebe, seine Schönheit, seine Heiligkeit wird um euch und an euch sichtbar.
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“