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Predigten

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Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen.

Predigttext: 1. Tim 1, 12-17

Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, 13mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. 14Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist.

15Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. 16Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. 17Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern, liebe Brüder, 

kürzlich erhielt ich den Brief eines Pfarrers aus Budapest, der mir begeistert schrieb, wie wichtig die Zeit in Wittenberg in den 1970 Jahren für seine Ausbildung und für seine theologische Arbeit gewesen sei. Er wäre nicht zu dem geworden, der er wurde, wenn er nicht in Wittenberg gewesen wäre und die Nähe der Reformatoren gespürt hätte. Es war ein Brief voller Dankbarkeit, der von einem erfüllten Leben berichtete. 

Und da ist Dieter Beine, Protokollchef im hessischen Landtag, der dem Dalai Lama mehr als 50-mal begegnet ist, ihn zum Arzt begleitet hat und mit ihm darüber gesprochen hat, ob die buddhistische Gebetskette und der Christus in seinem Zimmer einander ausschließen. Er konnte den Dalai Lama danach fragen, der lächelte und ermutigte ihn zu seinem christlichen Glauben, der buddhistische stehe daneben. Beine berichtet, dass vom Dalai Lama eine starke positive Energie ausgeht, die er sonst kaum gespürt hat.

Wie oft sagt jemand, dass ab einem bestimmten Moment das Leben anders verlief, eine neue Richtung nahm. Ich höre das bei Menschen nach einer schweren Krankheit, bei Menschen, die eine Entscheidung getroffen haben für eine neue Arbeitsstelle. 

Besonders habe ich es immer wieder gehört von Menschen, die sich aus der Alkoholsucht befreien konnten: viele von Ihnen feiern einen zweiten Geburtstag am Tag der Entscheidung, ab jetzt ohne Alkohol zu leben. 

Kennen Sie das auch- einen Moment im Leben, wo sich etwas verändert hat? Wo sich etwas entschieden hat und danach war alles anders? Eine glückliche Begegnung, ein Blick, ein Händedruck oder eine Frage zur richtigen Zeit. Ich kenne das auch.

Mir ist der Satz von Charlotte Wolff in Erinnerung: “Augenblicke verändern mehr als die Zeit.” In einem einzigen Augenblick kann sich so vieles verändern, kann das ganze Leben auf den Kopf gestellt werden. Im Rückblick wird man vielleicht sagen, dass alles darauf hin gelaufen ist und man versteht es besser. 

Und nun Paulus: 

Er schreibt an Timotheus, seinen engsten Mitarbeiter. Es ist ein sehr persönlicher und sehr dringlicher Brief.

Und vor seinem Mitarbeiter Timotheus breitet Paulus sein Leben aus, wie er war und wozu er geworden ist. Wo habe ich das schon einmal gehört, dass jemand von sich selbst sagt, ich war ein Lästerer, ein Verfolger, genau übersetzt, sogar ein Gewalttäter. Paulus stellt das fest und erklärt sich. Dabei versteht er sich auch selbst gar nicht so richtig. Er meinte ja als Christen-Verfolger, dass er alles richtig mache, er wähnte sich im Recht. Aber im Nachhinein, nachdem er berufen und gerufen wurde von Christus, da wurde ihm klar: das war der falsche Weg. Und er weiß genau, er hat eigentlich selbst keinen Anteil daran, dass er nun auf den richtigen Weg gekommen ist. Er ist umgekehrt worden und bleibt nun dabei.

Es ist nicht sein Verdienst. Er weiß, dass er ein riesiges Geschenk erhalten hat und dass er sein Leben Christus verdankt. 

Und so ist auch dieser Text zu verstehen, über den heute zu predigen ist: es ist ein einziger großer Dank. Paulus nimmt es als wertvolles Geschenk und wird zum Zeugen für Jesus. Er kann gar nicht anders, als immer wieder darüber zu sprechen. 

Paulus sagt uns: ich verdanke mein Leben Christus. Ohne ihn wäre mein Leben weiter schief gelaufen. Vielleicht erscheint uns dieser Predigttext etwas prahlerisch. Aber ist es denn falsch, laut und deutlich dafür zu danken, dass sein Leben eine grundlegend andere Richtung eine grundlegend gute Richtung genommen hat? Er lobt sich nicht selbst, sondern Gott, dem er dankt.

Im Grunde ist die Geschichte um Paulus wie eine Illustration zur Geschichte vom verlorenen Sohn, die wir als Evangeliums-Lesung gehört haben. Der war ganz tief unten. Und um so größer war die Freude beim Vater, der ihm entgegenrennt. Und wird dieser Sohn nicht dankbar sein, dafür, dass er zurückkommen darf, von einer gescheiterten Existenz wieder zum Sohn wird? Ob er auch wieder zum Bruder wird, muss sich noch zeigen. 

Paulus teilt sein Leben ein in vorher und nachher und weiß sich selbst als selig gemachten Sünder. Er dient jetzt dazu, noch einmal deutlich zu machen, dass Jesus in die Welt gekommen ist. Er sieht sich als Zeugnis und Werkzeug von Christus.

Paulus ist deshalb mit sich im Reinen und schreibt hier seine Lebensbilanz - so etwas wie ein Vermächtnis. Und man hat den Eindruck, dass er nicht nur in ein vorher und nachher teilt, sondern dass er auch in ein ich war in Stücken und nun bin ich ganz geworden einteilt. Jetzt ist er in seinem Glauben stabil und weiß sich gehalten in Gott. 

Wie war das eigentlich bei Friedrich dem Weisen? Vor 500 Jahren ist er hier in dieser Kirche Jahren begraben worden. Wann hat er verstanden, dass die Reliquien, die er hier in dieser Kirche gesammelt hat, nicht wirklich zu seinem Heil führen werden? Wann hat er beschlossen, dass er noch zu Lebzeiten das Abendmahl in beiderlei Gestalt nehmen würde als Zeichen für die Nähe aller zu Jesus. In welchem Augenblick hat er das entschieden.

Und wie war das bei Martin Luther? Als Student im Gewitter bei Stotternheim versprach er, ein Mönch zu werden, wenn er das überleben würde. Er wurde ein gelehrter Mönch und fand Worte und Einsichten für den Glauben, die uns bis heute wichtig sind und tragen. Eine Augenblicksentscheidung?

Wendungen im Leben. Entscheidungen, in Augenblicken, die mehr sind als Bauchentscheidungen und ein neues Verhältnis zu Gott begründen.  Paulus kann gar nicht anders, als immer wieder darüber zu sprechen. Er rühmt Gott, wenn er von sich spricht. Und die Geschichte vom verlorenen Sohn spricht von der Freude bei Gott über den Wiedergefundenen. Gott hat Freude am Wiederfinden.

Steckt nicht schon im verlorenen Sohn in der Fremde das Potential zurückzukommen? Und in Saulus der Paulus, der sich der Begegnung mit Jesus nicht entzieht. Wer sind wir vor Gott und den Menschen?

Diese Frage hat sich auch Dietrich Bonhoeffer gestellt. Als Mitglied der Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus war er im Wehrmachtsgefängnis Berlin-Tegel inhaftiert und schrieb dort sein Werk: Widerstand und Ergebung. Es besteht aus Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Gedichten. Dietrich Bonhoeffer wurde im Februar vor 80 Jahren hingerichtet. Seine Fragen sind jedoch aktuell.

Hören wir ihm in Auszügen zu:

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich träte aus meiner Zelle

gelassen und heiter und fest,

wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

 

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich spräche mit meinen Bewachern

frei und freundlich und klar,

als hätte ich zu gebieten.

[Wer bin ich? Sie sagen mir auch,

ich trüge die Tage des Unglücks

gleichmütig lächelnd und stolz,

wie einer, der Siegen gewohnt ist.]

 Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?

Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?

Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,

ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,

[hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,

dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,

zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,

umgetrieben vom Warten auf große Dinge,

ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,]

müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,

matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?

Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?

Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler

Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?

Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,

das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

 

 Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.

Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

(aus: Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung)

Dietrich Bonhoeffer begegnet Paulus. Sie sagen: Wir sind Gottes. Wir verdanken uns nicht uns selbst, sondern dem, der unser Leben und die Welt sicher in der Hand hält. Also danken auch wir heute für unser Leben, für unser Werde, für das Wiedergefunden-werden und dafür, dass wir von Gott gesucht werden und in Gott gehalten sind in Ewigkeit.

Amen