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Predigten

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Die Situation war verunsichernd. Vorwürfe standen im Raum. Die Glaubwürdigkeit stand auf dem Spiel. Viele waren verunsichert, weil sie das, was Paulus einst verkündet hatte, nicht erlebten. So schreibt Paulus an die verunsicherte Gemeinde im zweiten Brief an die Korinther im vierten Kapitel: 

Wir wissen, dass die Macht, die Jesus aufweckte, dem wir gehören, uns auch mit Jesus aufwecken und uns zusammen mit euch in ihre Gegenwart stellen wird. Alles geschieht ja für euch: So wächst die Zuwendung (charis, Gnade), indem eine immer größere Zahl von Menschen den Dank überfließen lässt zur Ehre Gottes. 

Deshalb verlieren wir nicht den Mut. Wenn auch unser äußerliches Menschsein verfällt, so erneuert sich doch das innere Tag um Tag. Denn die leichte Last unserer gegenwärtigen Bedrängnis ruft für uns einen über alles Maß hinausgehenden gewichtigen göttlichen Glanz hervor, der Zeiten und Welten umfasst – für uns, die wir nicht das Sichtbare im Blick haben, sondern das Unsichtbare. Das Sichtbare gehört ja dem Augenblick, doch das Unsichtbare der Unendlichkeit. 

Predigt: Blick fürs Unsichtbare

An Diesem Abend sind alle jünger geworden – alle, die dabei waren. Obwohl ich viele um mich herum gesehen habe, die – naja sagen wir – schon etwas älteren Semesters waren. An diesem Abend waren Sie alle jung, weil das, was in ihnen lebte, lebendig war. Die Musik und die Lieder meiner Jugend waren nicht nur ferne Erinnerungen, sie sangen wieder ganz neu in mir. Im letzten Sommer besuchte ich ein Konzert von Sting in Halle und ich weiß, dass einige hier aus der Kirche auch mit dort waren. Aus Leibes Kräften habe ich wieder mitgesungen: „Every breath you take“. Damals, in den 90er habe ich den Song auf der Gitarre gespielt oder ich habe das Gitarrensolo von „The Shape of my heart” geübt. Ich habe es nie hinbekommen. Aber es hat mich beflügelt. Ach was, die Lieder haben mich fliegen lassen. Die Musik und vor allem schon damals die Texte, die ich mir herausgehört und mühsam mit dem Wörterbuch mehr schlecht als recht übersetzt habe (es gab noch kein Internet), die haben mir aus dem Herzen gesprochen. 

An diesem Abend waren sie um mich herum alle wieder jung. Naja, ehrlich gesagt: den meisten Männer sah man ihr Alter an. Sie hatten weniger Haare als damals, dafür mehr Bauch. Und viele Frauen ein bisschen zu viel um die Hüften und das Makeup konnte die Falten nicht mehr kaschieren. Sei drum. 

An diesem Abend spielte das keine Rolle. Wir tanzen so wie früher, als wir Party machen konnten, ohne müde zu werden. Denn es lebte in uns, frisch und jung, als wären wir keinen Tag älter geworden. 

Darum werden wir nicht müde;

sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt,

so wird doch der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert.

Ach, Paulus, sag sowas nicht. Wir werden doch müde. Schon wenn wir von so einem Konzert nach Hause gehen, nach drei Stunden stehen, tut mir der Rücken weh und die Füße schmerzen. Und ich war froh, dass ich einen Sitzplatz hatte in der Straßenbahn. 

Wir werden doch müde, liebe Vikaris. Wer von uns könnte davon kein Lied singen. Die erste Nachmittagseinheit ist besonders schlimm. So mancher ist vom Mittagsschlaf noch nicht erwacht und andere sind gerade mitten drin. Und mir selbst zieht es manchmal die Augen zu und hoffe, dass es nicht so viele merken. An der Müdigkeit merken wir jeden Tag, dass unser äußerer Mensch verfällt. 

Und dennoch, wer müde ist, muss schlafen. Manchmal sogar viel schlafen und kann das Geschenk des Aufwachens erleben – ein neuer Tag geschenkt, neues Licht und neue Kraft. 

Und dann gibt es da noch ein müde sein, dass sich so langsam einschleicht in das Leben. Weil wir uns gewöhnt haben, an schwächere Kraft, an einen eingefahrenen Geist, an unser neues Gesicht und älteren Körper. 

An diesem Konzertabend merke ich: neben all dem müde werden in mir, gibt es noch etwas anderes in mir. Einen Teil, dem die Jahre nichts anhaben können. Etwas, das nicht vergeht.

Diesen Teil, der mich singen lässt „Every breath you take“ so wie damals,  dem die Jahre nichts anhaben können, den nennt Paulus „innerer Mensch“.

Wir sehen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.

Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Natürlich sehen wir auf das Sichtbare – auf was sollten wir denn sonst schauen. Wir haben auch sehr genau auf die Situation der Kirche in unserem Land geschaut. wir blicken kritisch auf gesellschaftliche Entwicklungen und wir blicken mit Sorge auf die klimatischen Veränderungen. 

Jeden morgen schaue ich in den Spiegel und denke, gestern Abend hast Du irgendwie noch jünger ausgesehen. Allerdings sieht man im Spiegel bloß die Falten und die Kilos zu viel. Vergleicht das Bild von heute mit dem Bild von damals. Und ja, das ist dann gelegentlich zu bedauern.

Aber es ist gut, dass man dann weggeht von diesem Spiegel. Weil es noch mehr gibt.  Es gibt noch mehr, in mir. An dem Abend bei Stingkonzert, habe ich auf einmal viele ältere Menschen gesehen, die erstaunlich jung waren. Ich glaube, das gibt es auch im Glauben, vielleicht naiv und kindlich, aber echt und lebendig. 

Wer vor dem Spiegel nicht wegkommt in seinem Leben, und nur auf das sieht, was vergeht, muss traurig werden. Aber wer hier im irdischen Leben, die göttliche Herrlichkeit schaut, wird jung, weil der auferstandene in uns nicht altert, sondern ewig jung bleibt.

Und nun kommt das Schwierige. Oder das Leichte. Wir sollen aus der Erfahrung des jung seins und Kraft habens nicht nur in der Gegenwart leben, sondern auch die Zukunft. 

Paulus sagt dann Sätze, die so gar nicht seelsorgerlich klingen, aber in denen dennoch etwas richtiges steckt. 

Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist,

schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit,

Ja, Paulus. Es klingt nach Vertröstung auf das Jenseits, oder von mir auch nach altklugen Sprüchen wie: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Nach dem Vikariat wird alles besser“. Auf keinen Fall klingt es verständlich für Menschen, die in Not sind. 

Dieser Satz glaubt an das Wunder der Auferstehung – immer wieder neu. Hier und jetzt, heute und morgen, gestern und in Ewigkeit. 

Denn wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, uns auch auferwecken wird mit Jesus (2. Kor 4,14).

Ich freu mich schon drauf mit dem Auferstandenen „every breath you take“ zu singen, und zu tanzen und zu jubeln, über das Leben in mir, dass niemals alt wird. 

Amen 

 

Fürbitten 

Christus, Du Auferstandener, 

mit Dir stehen wir auch auf, 

leben in dir und aus deiner Gnade.

Jeden Tag neu – immer wieder. 

Leben im Fragment unseres Lebens und bitten Dich,

gib Kraft und Mut, Freude und Zuwendung jeden Tag aufs Neue. 

Lass uns aufstehen gegen die eigene Unlust und Unmut. 

Lass uns aufstehen für Gespräche und Frieden

Lass uns aufstehen gegen Frust und Unrecht

Lass uns aufstehen mit Ideen fürs Leben.