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Predigten

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Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen

Predigttext Joh 5, 24-29

24Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. 25Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. 26Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; 27und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. 28Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden 29und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

Liebe Gemeinde, 

I. Erfahrung und Fragen

Mascha Kaleko hat über den Abschied geschrieben: 

Memento

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.

aus: Verse für Zeitgenossen

Sterben und Tod führen uns unsere Begrenztheit vor Augen: wir haben unser Leben nicht in der Hand und müssen mit und nach dem Tod von anderen weiterleben. Unsere Verletzlichkeit macht uns im wahrsten Sinne des Wortes dünnhäutig. Wir haben Menschen verloren. Besonders denken wir heute an die, die uns nahestanden. Unsere Sprache kennt Worte dafür, wie tief Schmerz und Trauer unsere Seele und unseren Körper treffen: die Tränen, der vom Leid gebeugte Körper, des gebrochene Herz, vom Schmerz überwältigt werden und dass einem der Atem wegbleibt. Wir Menschen sind Körper und Seele und darin findet die Trauer ihren Ausdruck. Und unabhängig davon, wie viel wir schon darüber nachgegrübelt, gesehen und erlebt haben, kann uns der Tod eines Menschen im tiefsten Innern treffen und umwerfen. Der Schmerz und die Trauer sind zugleich auch die Rückseite des Dankes für einen Menschen, der uns nahe war und der nun fehlt. Je größer die Verbundenheit, desto größer die Trauer. Und manchmal ist auch etwas offengeblieben, ein Konflikt, der nicht gelöst wurde und nun zur Last wird. Und nicht selten haben wir das Gefühl, dass wir dem Verstorbenen etwas schuldig geblieben sind. Wie auch nicht. Natürlich. All das gehört in den Abschied, die Verwirrung, den Schmerz, die Trauer. 

Mascha Kaleko sagt es so: ‚Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,

Doch mit dem Tod der andern muss man leben.‘

Die Kerzen, die wir aufgestellt haben, leuchten für die Menschen, mit denen wir verbunden sind. Sie sind in unserem Herzen, sie fehlen, sie prägen Erinnerungen. Plötzlich im Alltag wird deutlich: nie wieder werden wir zusammen ….. das schmerzt. Manch lieb gewordener Gegenstand erinnert an Verstorbene und manchmal sprechen wir auch mit ihnen. 

Wir haben verschiedene Bilder dafür, wo sie nun nach ihrem Tod sind und was mit ihnen passiert ist. Udo Lindenberg sagte beim Abschied von einem Freund „Du bist nicht von uns, sondern nur vor uns gegangen - und irgendwann folgen wir dir nach. Danke für so vieles, für immer! Dein Udo.“ 

Da hat einer eine Idee davon, dass wir in einem größeren Sinnzusammenhang leben.

Wir stellen nicht die einfachsten Fragen: Wo sind unsere Verstorbenen? Was geschieht, wenn ein Mensch stirbt? Auch von Paulus haben wir dazu in der Epistel gehört. 

Wir suchen Antworten darauf ¬ wohl lebenslang und bereiten uns damit auch auf unser eigenes Sterben vor.

Ich glaube, dass die Art, wie sich diese Fragen stellen, auch sehr eng mit der Erfahrung des letzten Lebensweges zusammenhängt. Es gehört zu unserem Menschsein, dass wir in Verbundenheit mit unserer Familie, Freunden, Kollegen und Nachbarn sind. 

Die Arbeit in der Pflege und von Hospizen mit ihren haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern, mit Ärzten und Pflegekräften ist sehr wichtig, damit der Sterbende selbst und mit ihm sein Umfeld den letzten Weg möglichst würdig gehen kann. Dort entsteht Dankbarkeit für diese Dienste und Trost in schwerer Zeit.

II Der Gegensatz wird in unserer jüngsten Zeitgeschichte deutlich: Ehemalige Lagerinsassen, die in sowjetischen Speziallagern in Torgau oder Mühlberg ohne Anklage und ohne Urteil interniert waren und dann teilweise nach Sibirien deportiert wurden. In meinem Dienst als Landesbeauftragte habe ich mit den mittlerweile Hochbetagten gesprochen. Sie haben mir vom Sterben ihrer Kameraden erzählt. Ungefähr ein Drittel der Internierten starb an Unterernährung, Kälte oder Krankheiten. Sie berichteten, dass ihre Kameraden angesichts des nahen Todes baten: „vergesst mich nicht“ und dass man ihre Angehörigen über ihren Tod informieren möge. Die Toten wurden in Massengräbern verscharrt, deren Lage man heute in Mühlberg noch an der Vegetation erkennen kann. Bis 1989 wurde darüber geschwiegen. Direkt 1989/90 kamen Angehörige und Nachfahren nach Mühlberg und stellten auf dem ganzen Lagergelände Kreuze mit den namen ihrer Angehörigen auf und zündeten Kerzen an. Erst nach 1989 war es möglich, die ca. 7.000 Namen der allein in Mühlberg verstorbenen Speziallager- Häftlinge dem Vergessen zu entreißen und jeden einzelnen sichtbar in einer Gedenkstele aufzuschreiben.

Es eignet allen Diktaturen, die Namen ihrer vermeintlichen Feinde vergessen machen zu wollen. Und es ist ein Zeichen der Humanität, an die Verstorbenen zu erinnern. 

Die zweite Bitte der überlebenden Speziallagerhäftlinge an Jugendliche gerichtet war: „habt Mitgefühl mit anderen, seid aufrichtig, sagt die Wahrheit“. Sie hatten erlebt, dass menschliche Verrohung mit Mitleidlosigkeit und Lüge einhergehen. Und sie haben den Schmerz um den Tod ihrer Kameraden in sich selbst nicht abgetötet.

Der Totensonntag war 1817 von Friedrich Wilhelm III. von Preußen nach dem Ende der Befreiungskriege eingeführt worden. Er verband damit den Wunsch, der vielen Opfer des vergangenen Krieges zu gedenken und dafür eine öffentliche Form zu finden. 

Später wurde dieser Tag seitens der Kirchen immer mehr zum Ewigkeitssonntag, an dem wir allgemein über unsere Hoffnung auf Leben nach dem Tod nachdenken, aber es blieb immer auch der Tag, an dem wir gemeinsam unserer Verstorbenen gedenken. 

Wenn ein Mensch gestorben ist, was geschieht dann mit ihm? nach dem Sterben?

III. Unser Predigttext aus dem Johannesevangelium schließt an den Predigttext vor einigen Wochen an, als es um die Heilung des Kranken am Teich Bethesda ging. Jesus hatte ihn ohne viel Federlesen an einem Sabbat aufgefordert sein Bett mitzunehmen und zu gehen und nicht mehr zu sündigen. Daraufhin entbrannte ein Streit und Jesus erklärt sich als Sohn Gottes, der- so wie sein Vater – Leben in sich selber hat. Er zeigt, dass es ein Leben vor dem Tode gibt. 

Schon jetzt haben das ewige Leben, die hören und glauben. 

Johannes spricht von Jesus als Christus, als Auferstandenem, als Gottes Bevollmächtigten, der durch das Leid und den Tod hindurch gegangen ist. Jesus steht auf der Seite der Opfer von Gewalt und Krieg. Er spricht vom ewigen Leben, das im Schalom ist. Und in diesen letzten Dingen geht es auch um die Frage von Gerechtigkeit. Das betrifft den einzelnen Menschen und die Frage nach Gerechtigkeit in dieser Welt. Die Gerechtigkeit Gottes ist nicht blind. Bei ihm sind die Opfer angesehen. Er weiß, wie denen zumute ist, die Hass, Gewalt und Unrecht erleiden müssen und denen ihr Recht auf Gerechtigkeit vorenthalten blieb. Denen steht er zu Seite und verbindet ihre Verletzungen. Er ist der gnädige und gerechte Weltenrichter. 

Ich denke an die Speziallagerhäftlinge, die nicht über Rache sprachen, sondern Hoffnung auf Gerechtigkeit hatten. Sie hofften auf das Gericht. Am Ende des Predigttextes wird es klar: es werden hervorgehen, „die Gutes getan haben zur Auferstehung des Lebens, die Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“ 

Wir wissen nicht, wie das genau aussehen wird. Ich bin aber gewiss, dass das Gericht Gottes in jedem Fall notwendig, gerechter und gnädiger ist, als wir Menschen es uns vorstellen können, die wir gelegentlich als Moralapostel auftreten. Es ist gut, Gott die Gerechtigkeit und das Gericht zu überlassen und es nicht selbst in die Hand zu nehmen. Sein Gericht schafft endlich Recht. 

Johannes sagt, es geht um die Werke der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Glauben ist also auch, Mitmenschlichkeit zu leben und damit eine ganz praktische Angelegenheit. Hospiz-Arbeit gehört dazu und der Trost für Trauernde, Aufrichtigkeit. Hören, glauben und tun – das ist der Weg mit Jesus.

Die Zugehörigkeit zu Jesus nimmt uns hinein in sein Leben auch im Angesicht des Todes und im Sterben. Johannes überliefert uns einen Jesus- Satz: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ (Joh. 14, 19) Das ist ein starker Trost und Hoffnungssatz mit dem uns der Auferstandene an seine Seite nimmt. Und noch ein Satz gehört im Johannes Evangelium zu diesem Gedankenkreis: In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.( Joh. 16, 33) 

IV. Wir denken heute an unsere Verstorbenen, wir haben sie Gott anbefohlen. Wir hören den Trost, dass das ewige Leben bereits jetzt ist und gehen im Vertrauen auf Gottes strenge Güte und sein gnädiges Gericht dem entgegen, was kommen mag. 

In tiefer Nacht und inmitten allen Unrechts und angesichts seiner bevorstehenden Hinrichtung dichtete Dietrich Bonhoeffer:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen 

und ganz gewiss an jedem neuen Tag. 

Und nimmt uns mit diesen Worten in sein durch Tiefen tragendes Vertrauen hinein. 

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus.